Weihnachten 1920 waren in Ilbeshausen und Hochwaldhausen alle Häuser mit Strom versorgt – In anderen Gemeinden zog sich der Anschluss hin

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Entwicklung in den Dörfern: Widerstände gegen den „neuen Kram“

LA-Mitarbeiter Gernot Schobert an einer Linotype Zeilensetz- und Gießmaschine von 1926. Die Aufnahme entstand in der Museumsdruckerei im Hohhaus-Museum Lauterbach. Nach der flächendeckenden Einführung des elektrischen Stroms kam es zu nachhaltigen Innovationen von der auch die Druckindustrie in erheblichem Maße profitierte. Bis 1980 wurde der Lauterbacher Anzeiger noch im Bleisatzverfahren hergestellt. Aber schon ab den 1960er Jahren waren Computer- und Fotosatz in der Druckindustrie wegweisend. Foto: Winterholler

VOGELSBERGKREIS. Ilbeshausen folgte Jahre später und 1920 wurden hier die Verträge zur Stromlieferung abgeschlossen. Dabei war es hier gar nicht einfach, genügend Bürger zu finden, die sich dieser Neuerung anschließen wollten. Denn eine deswegen einberufene Bürgerversammlung war der Meinung „dass das elektrische Licht für die Gemeinde ein allzu teures Unternehmen sei“, und man rechnete tatsächlich damit, das aus der Sache in absehbarer Zeit nichts werde. Denn auch die Gemeinde sollte einen erheblichen finanziellen Beitrag leisten. Doch vonseiten des hessischen Staates wurde nicht locker gelassen und bei den Bürgermeisterdienstversammlungen ging es über eine geraume Zeit hin nur um dieses Thema. Das allgemein als „Wölfersheimer Projekt“ bezeichnete Vorhaben – denn aus Wölfersheim sollte die Energie in den Vogelsberg geliefert werden – wurde zwar favorisiert, aber in Ilbeshausen gelang es mittlerweile der Molkerei Bloß durch die Anschaffung eines eigenen Generators die Umstellung von Gas auf elektrischen Strom die Energieversorgung umzustellen. Und im Laufe des Jahres 1920 schloss die Firma Gerlach aus Lauterbach die Hälfte der Häuser an das Stromnetz der Molkerei an.Doch das war nur eine nicht hinnehmbare Situation und schließlich stimmte der Gemeinderat dem Beitritt zur oberhessischen Zentrale einhellig zu und an Weihnachten 1920 waren in Ilbeshausen und Hochwaldhausen alle Häuser an das Stromnetz angeschlossen.

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Am Wohnhaus des Likörfabrikanten Vollmüller in Lauterbach brannte die erste Straßenlampe. Die Lauterbacher Bevölkerung pilgerte in den Abendstunden zu dem Haus um diese Neuerung zu bestaunen. Fotoclub Lauterbach/Repro: Winterholler
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Bei der Ausstellung der Firma Max Ahlbrandt 1958 wurden zahlreiche Neuerungen im Bereich der Rundfunk- und Elektroindustrie gezeigt. Foto: Peter Lebig (ehem. LA-Redakteur), mit freundlicher Erlaubnis: Fotoclub Lauterbach, Repro: Winterholler

In Crainfeld im Vogelsberg erfolgte die Versorgung mit elektrischem Strom 1923. Verschiedene Vorschriften und Gesetze waren dabei zu beachten. Hier veröffentlichte der Lauterbacher Anzeiger im Januar 1923 eine über eine halbe Zeitungsseite reichende Gesetzesverordnung nur für Crainfeld wie mit der Erfassung und Bedienung der interessierten Stromabnehmer zu verfahren sei. Wir wollen hier nur einen kleinen Abschnitt der Verordnung wieder geben: „Die Ausführung der Hausinstallationen, die Lieferung der Elektromotoren, elektrischer Apparate und Beleuchtungskörper wird dem freien Markt überlassen. Sie ist nur zulässig durch solche Unternehmer (Installateure), die bei der Überland-Anlage zugelassen sind und von der Bürgermeisterei eine schriftliche Erlaubnis erhalten haben und geht ausschließlich zulasten des Stromabnehmers. Die Befugnis zum Anbringen von Zählern zur Vornahme von Veränderungen, und überhaupt zu irgendwelchen Arbeiten an den Zählern, steht nur der Bürgermeisterei zu. Erhebt ein Abnehmer Zweifel an dem richtigen Gang des Zählers, so wird dieser von der Gemeinde geprüft. Ergibt die Prüfung, dass der Zähler im Rahmen der erlaubten Fehlergrenzen richtig geht, so hat der Abnehmer die durch die Prüfung entstehenden Kosten, an die Gemeinde zu zahlen. Wird der fehlerhafte Gang eines Zählers festgestellt, so findet für die vorausgegangene abgelaufene Zeit weder Nachforderungen noch Rückzahlungen statt“, soweit die Heimatzeitung. Dabei schlossen die Gemeinden die Verträge über die Stromlieferungen mit der Provinzialdirektion Oberhessen.

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Werbung vom bekannten Hotel Schüz in Lauterbach in 1911. Das renommierte Haus warb damals auch damit, dass elektrisches Licht zur Ausstattung gehörte. Lauterbacher Anzeiger/Repro: Winterholler

Es zog sich allerdings dann doch über einige Jahre hin, bis alle Gemeinden im Vogelsberg am Netz hingen. Denn es gab auch – so ähnlich wie heute – Widerstände gegen den „neuen Kram“ – und natürlich auch wegen der Kosten – der aber bald verstummte, wenn nämlich die ungeheuerlichen Vorteile zutage traten.

Grebenhain, Frischborn und Hopfmannsfeld folgten 1923 und der damalige Hopfmannsfelder Bürgermeister genehmigte eine besonders späte Sperrstunde für die drei Spinnstuben und die drei Gasthäuser im Ort – denn als erstmals Lampen mit elektrischem Strom für die gebotene Helligkeit sorgten; das musste ja gebührend gefeiert werden.

So kam es, dass Gas-Straßenlaternen und die dämmerigen Petroleumfunzeln auf Erdölbasis, die lange Zeit ihren Dienst getan hatten, schließlich über Nacht überflüssig wurden. Denn die neue Energie „Strom” machte es möglich, davon unabhängiger zu werden. Dabei hatten die amerikanischen Ölbarone, wie etwa J. D. Rockefeller, gerade erst damit ihre Dollar-Milliarden gescheffelt. Das Öl wurde für die Lampen sowie teilweise für die Industrie überflüssig und die Konzerne glaubten, kurz vor der Pleite zu stehen. Doch die Erfindung des Automobils brachte sie wieder zu ungeahnten finanziellen Höhen und Fördermengen bis zum heutigen Tage. Für die Herstellung des Stroms kamen damals Wasserkraft oder die reichlich vorhandene Kohle infrage.

Bis in die 1980er Jahren noch waren die Strommasten mit den Leitungen auf den Hausdächern bei uns zu finden. Danach kamen die Kabel in die Erde und diese Zuleitungen versorgen die Häuser bis heute mit der nötigen Energie. Otto Winterholler

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